Ein Plädoyer für mehr Genuss und Entspannung mit dem Essen und sich selbst
Bist du noch ganz sauber? Von Clean eating bis ovo-lakto-glutenfrei-mono-vegetarisch-detox-paleo. Wird dir auch schon schwindlig?
Was bedeutet das alles überhaupt und was ist passiert, dass auch im Ausdauersport, insbesondere im Laufen, diese Trends Einzug gehalten haben und die Welle wohl auch auf lange Sicht nicht abzureißen scheint?
Ernährung ist zu einer richtigen Bewegung geworden und polarisiert. Oft kommen die diversen Ernährungsrichtungen einer Religion gleich.
Ich bin Veganer. Ich bin Vegetarier. Ich bin Lakto-Ovo. Es scheint, als versteife man sich auf eine Identität anstatt die Ernährungsweise als das zu sehen, was sie ist: Einfach eine Art, eine Form, sich zu ernähren.
Im Englischen bedeutet "diet" einfach nur: Way of eating.
Bei uns hingegen denkt man meist sofort an Verzicht, schlechte Laune und Jo-Jo-Effekt.
Wir haben uns selbst dazu gebracht, dass gewisse Ernährungsweisen gehypt werden in einer Gesellschaft, die dem Optimierungs-und Leistungswahn verfallen ist. Gerade im Marathon- und Ultralaufsport ist es geradezu hip, vegan zu sein.
Die früheren Generationen konnten es sich nicht leisten, wählerisch zu sein. Klar, die Zeiten haben sich geändert. Mit ihr auch der Drang nach Perfektion an uns selbst.
Hier noch ein Superfood dazu, da noch einen Schuss Weizengras in den Smoothie. In der Hoffnung, dass es den Unterschied macht, schneller zu laufen, Gewicht zu verlieren oder Teil von Etwas zu sein.
Früher, da gab es weniger Fettleibigkeit und Intoleranzen, die erst in den letzten Jahren entstanden sind. Vielleicht sind wir hilflos geworden. Es reicht nicht mehr, die einfache Knolle aus dem Boden oder den Apfel, nicht weit vom Stamm gefallen, zu geniessen.
Da ist doch noch mehr. Die heutige Vielfalt an Lebensmitteln überfordert. Zumindest geht es mir so, wenn ich im Reformhaus Lebensmittel entdecke, wo ich kaum den Namen aussprechen kann. Und am Ende wieder mehr Geld lasse, als ich wollte. Könnte ja noch was optimieren oder mein Immunsystem boosten.
Im Buch „Die Blutgruppendiät", an welche ich mich eine Weile Ende der 90-er Jahre hielt, weil ich neugierig war, was es damit auf sich hatte, heißt es, dass wir ohnehin immer dieselben 10-15 Nahrungsmittel zu uns nehmen und das Gefühl haben, wir brauchen mehr.
Schau´ mal in deinem Alltag, ob es dir ähnlich geht und schreibe über mehrere Tage auf, was du isst. Sind es doch immer dieselben Lebensmittel? Wie viele davon?
"Aber da fehlt dir doch was, Proteine, Substanz?" bekomme ich immer wieder zu hören, wenn ich Menschen erzähle, wie ich mich ernähre.
Ein Soja-Schnitzel kommt jedenfalls nicht auf den Teller. Was soll es ersetzen außer die Konsistenz?
Fehlt manchmal doch der Mut zur Veränderung, die Neugier, etwas anderes auszuprobieren und zu schauen, was passiert? Ohne im Mangel zu sein darüber, dass etwas fehlen könnte?
Spielt sich Ernährung bzw. das, was wir essen und trinken, auch im Kopf ab?
Ich habe dies einmal während meiner veganen Phase erlebt.
Ich hatte mich nach ein paar Wochen so programmiert und einen solchen Widerstand gegen Kuhmilch entwickelt, dass ich nach einem „normalen“ Cappuccino im Strassencafé akute Bauchkrämpfe bekam.
Lag es an der bösen Kuhmilch?
Wissenschaftlich ist tatsächlich nachgewiesen, dass der Mensch ab einem Alter von drei Jahren die Enzyme in der Milch nicht mehr aufspalten kann. Und bei genauem Hinsehen erschliesst sich mir nicht wirklich der Sinn, etwas zu trinken, was eigentlich Kälbern zum Wachstum dient. Als erwachsener Mensch von dieser Milch etwas zu brauchen ist vielmehr eine früh antrainierte Überzeugung.
Die Frage ist jedoch, ob schon kleinste Mengen täglich, oder mal ein Joghurt derartige körperliche Reaktionen hervorruft. Ich glaube, das ist nur zum Teil so.
Meine Phase hielt in all ihrer Konsequenz schliesslich nicht sehr lang an und ich habe mittlerweile meinen Weg gefunden.
Genieße einen Schuss Kuhmilch im Kaffee, vor allem auf Almen und Hütten in den Bergen, wo ich nicht extra meine Soja- oder Mandelmilch mitschleppe. Gern konsumiere ich dann auch mal ein Stück Käse oder einen Kaiserschmarrn, ohne davon sofort Krämpfe, Juckreiz oder Hautausschläge zu bekommen.
Kuhmilch schmeckt mir von Geschmack her dauerhaft nicht mehr wirklich, so dass ich meinen Cappuccino mit Soja- und Mandelmilch zu Hause zubereite.
Ich habe mich so heute auf etwa 80-85% vegane Ernährung eingependelt, ohne dabei in eine Identität zu schlüpfen.
Über die letzten Jahre habe ich von allein, ohne einer Diät zu unterliegen oder auf etwas zu verzichten, zu anderen Lebensmitteln gegriffen und diese in meinen Alltag integriert, esse vielleicht einmal pro Woche ein Stück Käse und ein hartgekochtes Ei.
Indem ich mich nicht mehr auf Erwartungen auf ein bestimmtes Ergebnis versteifte, konnte ich unvoreingenommen wahrnehmen, was nach und nach an positiven Effekten geschah.
Meine Haut ist sehr rein geworden und auch weniger trocken, vor allem im Winter.
Lauftechnisch stecke ich intensivere Trainingseinheiten besser weg, d.h. Ich erhole mich deutlich schneller als noch zu den Zeiten, als ich viel mehr Milchprodukte gegessen habe. Fleisch und Wurst esse ich schon seit 25 Jahren nicht mehr, Fisch habe ich vor einem Jahr tschüss gesagt.
Ernährung funktioniert auch über Erfahrung.
Wie fühle ich mich wirklich, wenn ich dieses oder jenes zu mir nehme?
Bin ich energiegeladen oder liege ich danach platt in der Ecke?
Ist mein Teller eher bunt und einfarbig?
Was im Grunde langfristig einen wirklichen Unterschied machen kann, ist, weniger Abgepacktes und Eingetütetes zu verzehren. Je weniger ein Lebensmittel vom natürlichen Zustand verändert wird, umso besser ist dieses für den Organismus, die Verdauung, die Aufspaltung und Verwertung. Und je naturbelassener, desto höher die Nährstoffdichte, was bedeutet, dass der Körper, je höher diese Dichte ist, schneller Energie bereitstellen kann.
Das Fazit: Es gibt nicht die eine, richtige, optimale, ideale, perfekte Ernährungsweise, schon gar nicht im Sport.
Es gibt jedoch viele herausragende Sportler wie Carl Lewis, Martina Navratilova, Gerlinde Kaltenbrunner und Scott Jurek, die, wie sie oft selbst sagen „streng vegan leben“ und es vormachen, dass gerade vielleicht ohne den Verzehr von tierischen Produkten und gleichzeitig bedingt durch spezifisches Training eine Leistungssteigerung verbucht werden kann.
Ich kann also sagen: Ich bin vegan oder ich ernähre mich vegan. Hat was weniger Restriktives.
Als Geschichts-Banause ist mir übrigens etwas Interessantes untergekommen:
Von den Römern ist überliefert, dass sich sogar Berufsathleten in Vorbereitung auf Duelle vegan ernährten.(Quelle: Vebu)
Welche Ernährungsweise ist dir am liebsten?
Probierst du gern was Neues aus in dieser Richtung?
Schreibe deine Meinung und Erfahrungen, die du dabei auch im Laufen machst, super gern in die Kommentare.
Anna meint
Danke für deinen Kommenrtar, Tilman. Stimmt, Gesundes auf den Teller zu bringen ist gar nicht so schwer. Man muss den Fokus auf das Bunte lenken und offen sein für Alternativen, die nicht immer den Fleischersatz bedeuten. Sehe ich auch so: Saisonal essen ist eh super fürs Immunsystem und man geht im Rhythmus der Natur mit.
Tilman meint
Klasse Bericht! Genau meine Denke.. 100% Vegan zu leben heißt nicht auch gleich Gesund. Ernährung ist immer mehr zum Grabenkampf und zum Religionsersatz geworden. Ein Identifikationsmerkmal. Mit Tofuwurst kriegt man den Fleischkonsum nicht reduziert. Geile natürliche, bunte und leckere pflanzliche Alternativen auf den Teller zu bringen ist heute bei den (teilweise überfordernden) gefüllten Supermarktregalen sehr viel einfacher geworden. Wenn man jetzt nicht jeden Öko- und Superfood-Trend mitmacht und sich seasonal und regional ernährt, Top!