Immer noch schwelge ich in wunderbaren Erinnerungen an die Hochtour, die zwar anders lief als geplant, aber dennoch ein besonderes Highlight dieses Jahr war.
Seit Jahren faszinieren mich die Höhen Richtung 4000er und höher. Ein großes Ziel in den nächsten zwei Jahren ist, einen 5000er zu besteigen. Ja, ein großes Ziel, aber machbar, wenn es nicht ein Berg ist, der nur über einen Gletscher oder / und Eisklettern zugänglich ist.
Es darf ruhig leicht sein. So ist der Damavand, der im Iran wie ein Zuckerhut mit seinen 5600 m in den Himmel ragt, durchaus ein Berg, der relativ leicht zugänglich ist, wo Hütten auf dem Weg liegen, auf denen man sich über mehrere Tage akklimatisieren kann und die Wege weder groß vereist noch beschneit sind. Vorausgesetzt, man wählt den August als Reisezeit.
Doch wir alle wissen, dass die momentane Lage keine allzu großen, fernen Ziele zulässt. Wer weiss schon, wann so manche Landesgrenze wieder öffnet oder wieder schliesst.
So bleibt momentan also der fromme Wunsch, und damit die kleine Reise im Kopf ja schon beginnen.
Alternativen zum 5000er gibt es genug. Jede Menge Spass bieten da die 3000er in und um Innsbruck, nur einen Katzensprung von meinem Zuhause in Garmisch entfernt. Das Stubaital ist schon lange kein Geheimtipp mehr. Grandiose Aussichten und unendlich weite Bergpanoramen warten dort auf.
Doch eins stand für mich seit dem 100km Ultramarathon im Monte Rosa vor fast zwei Jahren fest. Ich musste wieder dorthin zurück.
In Alagna befand sich damals ein Verpflegungspunkt bei etwa km 30. Es hatte bereits zu dämmern begonnen, als ich meinen Weg durch diesen Ort bahnte und in die dunkle Nacht lief. Ich war fasziniert von der wallisischen Baukunst, dem großen Monte Rosa Massiv und einfach der Energie dort.
So ist das manchmal mit Orten. Man weiss nicht genau, was es ist, sondern nur, dass es stimmig ist und sich sofort ein wohlig-heimeliges Gefühl einstellt. Vielleicht war ich in meinem früheren Leben ja mal eine Bergbäuerin im Wallis, wer weiss?!
So hatte ich fest im Kopf, Anfang August eine kleine Reise nach Alagna in Italien zu unternehmen. Erst allein, beim zweiten Überlegen wurde mir klar, dass eine Hochtour zu zweit doch besser ist. Nach dem Studieren der topografischen Karte wurde mir doch hier und da etwas mulmig.
Simone war mir in den letzten Monaten - wir hatten erst auf dem Transalpine Run letztes Jahr Freundschaft geschlossen - sehr ans Herz gewachsen. Mit ihrer langjährigen Ultra- und Trailrunning Erfahrung sowie selbst in den Voralpen lebend konnte es keine bessere Partnerin geben, mit der dieses Vorhaben umsetzbar sein würde.
Worauf also warten?
Wetter beobachtet, Tag festgelegt und los ging´s bei stundenlangem prasselndem Regen Richtung Südtirol, Gardasee und weiter bis in die tiefen Täler des Monte Rosa bis wir nach fast acht Stunden Sitzfleischtraining im Auto das Ortsschild von Alagna erreichten.
Zwar sind es noch nicht mal 600 km bis dorthin, aber wer die Italiener kennt, weiss, dass sich diese auch noch spät abends in Massen auf den Autobahnen tummeln.
Wir fanden einen Parkplatz direkt am Fluss, richteten alles für die Nacht her und entschieden, am nächsten Tag erst einmal die Gegend auszukundschaften.
Wir versorgten uns komplett selbst, hatten Essen vorgekocht, alles fürs Frühstück sowie jede Menge Snacks dabei. Es ist eine besonders schöne Form von Freiheit, von niemandem abhängig zu sein, es braucht lediglich ein Auto, dass Schlafraum für zwei bietet.
Aus dem VW Touran hatte ich die beiden hinteren Sitze heraus montiert, eine dicke Turnmatte, die faltbar ist, hineingelegt, Simone zusätzlich eine aufblasbare Isomatte dabei, jede ihren Schlafsack und Kissen parat - fertig.
Das gute Wetter ließ noch etwas auf sich warten. Zwar regnete es nicht mehr, aber unter wolkenverhangenem Himmel wollten wir nicht bis auf 4000 m gehen. Die Aussichten versprachen für den nächsten Tag beste Bedingungen und Sonnenschein pur.
Über die Originalroute des Monte Rosa Skymarathons, den ich wetterbedingt letztes Jahr abgesagt hatte, ging es bis zur Punta Indren auf 3275 m hoch. Wir stapften mit Minimalgepäck, ohne Stöcke, dünnem Laufrucksack, etwas Essen und Trinken in der gerölligen, kargen und doch so faszinierenden Landschaft umher.
Von Wegmarkierungen kaum eine Spur. Allein stundenlang über diese Route zu gehen würde ich keinem empfehlen.
Die letzte Passage bis zur Bergstation Punta Indren war über einige Schneefelder zu meistern. Dummerweise hatten wir Grödeln, kleine Schneeketten, die man unter die Laufschuhe ziehen kann, vergessen. Da das Gelände talwärts nicht sehr abschüssig war, bestand hier keine echte Gefahr.
Die Höhe machte uns beiden überraschend wenig aus. Wir wurden lediglich etwas müde, aber zum Glück traten keine Kopfschmerzen, Übelkeit oder Sonstiges auf, was einem durchaus einen Strich durch die Rechnung machen konnte.
Wir blickten vom Indrenpass auf die Seite, wo wir am nächsten Tag auf die Gnifetti Hütte aufsteigen würden. Es sah alles gewaltig und mächtig aus, fast etwas beängstigend.
Mit der Gondel fuhren wir eine Station hinunter und bahnten uns dann in der Spätnachmittags-Sonne den Weg, ein gut laufbarer, nur teils technischer Trail zu einer richtig schön gelegenen Hütte, wo endlich ein lang ersehnter Cappuccino und noch warmer, frisch gebackener Apfelkuchen, der auf der Zunge zerging, auf uns wartete.
Spontan ergab sich, mit dem Hüttenwirt und seinem Hund Schnuffi im Pickup ins Tal zu fahren. So sparten wir uns etwas Kraft in den Beinen, denn am nächsten Tag stand die große Tour an.
Zuversichtlich starteten wir früh am nächsten Morgen. Wir hatten ausreichend gefrühstückt und viel Wasser getrunken. In der Höhe hat man einen sehr hohen Energieverbrauch und gefühlt ständig Hunger. Regelmäßige Nahrungsaufnahme ist sehr wichtig.
Unser Ziel war es, vom Tal aufzusteigen und nicht mittels einer Bahnfahrt zu “schummeln”. Bis zur Punta Indren waren wir gut unterwegs und bewegten uns schnell auf den Aufstieg zur Gnifetti Hütte zu. Der mit dicken Seilen versicherte Steig ist an einigen Stellen nichts für schwache Nerven.
Viel Kraft und Geschick ist gefragt.
Und dann endlich, nach vielen Stunden, gelangt man über eine letzte Kuppe und blickt auf die Vinzenz-Pyramide, weit am Horizont auf den Mont Blanc und in fast greifbarer Nähe auf die Gnifetti.
Wir waren beide ergriffen von dem Anblick. Tränen des Glücks kullerten über die Wangen.
Ein letztes langes Schneefeld galt es noch zu queren und schwupps, standen wir auf der Holzterrasse auf knapp 3700 m. What a feeling!
Uns ging es so gut, keinerlei Beschwerden, lediglich ein paar Schnappatmungen zwischendurch, die sich aber schnell wieder auf ein normales Level regulierten. Wir blickten auf der anderen Seite auf die weitere Route, und entdeckten große dunkle Flächen.
Sahen dabei zu, wie Seilschaften in Schlangenlinien um die großen Gletscherspalten tänzelten. Doch um 1 Uhr mittags waren wir definitiv zu spät dran, um die letzten Höhenmeter auf den Lyskamm zu wagen.
Bei dem Gedanken an aufschmelzende Spalten wurde uns mulmig. Hier fehlte uns tatsächlich auch Erfahrung mit Gletscherbergungen, so dass wir zwar leicht enttäuscht aber mit klarem Kopf entschieden umzudrehen und über die Mantova-Hütte abzusteigen.
Wären wir gegen 9 Uhr morgens an der Gnifetti gewesen, hätte es durchaus für einen Aufstieg zur 4000er Marke reichen können, aber die Berge sind nächstes Jahr auch noch da.
Zurück an der Punta Indren merkten wir die Belastung der letzten zwei Tage. Ziemlich müde fuhren wir mit der Gondel bis zur Hütte vom Vortag und legten uns bei schönstem Wetter in die Liegestühle, glücklich und sehr beseelt.
Entspannt liefen wir nach dieser ausgiebigen Pause hinunter ins Tal. Nie war Flussbaden mit anschließender Solardusche schöner.
An diesem Abend stand ein Restaurantbesuch an, wohlverdient! Doch die Suche nach einer Osteria fernab des Touri-Rummels gestaltete sich gar nicht so einfach. Rund 30 km außerhalb von Alagna hatten wir Glück und schlugen unser Camp für die Nacht auf einem anderen Parkplatz auf.
Wir waren zu müde, um hunderte Kilometer durch die Nacht nach Hause zu fahren.
Vier Tage road trip, unvergessliche Bergerlebnisse, neue Erfahrungen in unbekanntem Gelände, jede Menge Spaß und echtes Team work haben diese Reise perfekt gemacht.
In den Bergen kann man viel über sich lernen. Wie man denkt, wann das Ego durchkommt, wie man in kniffligen, mulmigen Momenten Ruhe bewahren kann…dümmer kehrt man jedenfalls nie zurück.
Die Müdigkeit der Tour kam rund zwei Tage später durch. Ich gönnte mir viel Schlaf und Ruhe, Gemütlichkeit.
Es geht nie um den Gipfel, sondern um den Weg. Das hat mich dies wieder einmal gelehrt. Wer am Berg kämpft, verliert. Derjenige, der sich hingibt, sich vereint mit der Natur, kehrt lebend und glücklich zurück.
Hier die Zusammenfassung
4 Läufe und eine Hochtour als Wanderung ergaben insgesamt knapp 67 km und 5235 Hm, verteilt auf insgesamt 16h 10 Minuten Bewegungszeit.
Dienstag: Alagna - 20 km - 2200 Hm+/- 1500 Hm
Mittwoch: Alagna - Gnifetti Hütte - 24 km - 2600 Hm+/- 1600 Hm
Donnerstag: Easy Trail Run - 9 km - 197 Hm+/-
Freitag: Easy Trail Run mit 16 min. Uphill Tempo - 9.5 km - 266 Hm+/-
Sonntag: Easy & flach mit 5x 2 min. Intervall - 6.5 km - 84 Hm+/-
Bis bald.
Run happy. Be happy.
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