TRAILRUNNING MIT ANNA C. HUGHES

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Warum Frauen für lange Strecken gemacht sind

Als Bobbi Gibb 1966 als erste Frau überhaupt durch das Ziel des Boston-Marathons lief, war das eine Sensation. Warum können Frauen besonders gut lang laufen?

Gibb hatte sich getarnt in Männerkleidung auf die Strecke geschlichen und lief unbeirrt zwischen den männlichen Läufern. Später sagte sie: "Ich lief den Marathon aus Liebe. Aus Liebe zum Laufen.”

In ihren oft philosophisch angehauchten Aufzeichnungen ist deutlich zu spüren, dass sie mit Herz und Seele dem Sport verbunden war.

In ihrem sicheren vorstädtischen Leben vermisste sie etwas - und das Ausdauerlaufen gab ihr einen Sinn, wurde zum Ausdruck ihres Seins. Wir Beobachter können fragen: Gab Gibbs dem Laufen weiter Strecken einen Sinn?

Ich selbst bin bereits viele Jahre als Läuferin unterwegs und fühle ähnlich wie Bobbi Gibb. Schauen wir doch einfach mal darauf, warum Frauen für den Ausdauersport prädestiniert sind.

Lange Distanzen sind Frauen in die Wiege gelegt

Aus physiologischer Sicht haben Frauen einige Vorteile:

  • höhere Dehnbarkeit von Sehnen und Bändern
  • bessere Verbrennung freier Fettsäuren
  • höherer Körperfettanteil
  • erhöhter Anteil an "langsamer" Muskulatur
  • weichere Muskeln

Beste Voraussetzungen also: Der Antrieb, immer längere Distanzen zu absolvieren, ist Frauen in die Wiege gelegt.

In einer Studie wurden Männer und Frauen bei einem harten Tempolauf getestet. Es stellte sich heraus, dass nur 40 Prozent der Männer aber 60 Prozent der Frauen das empfohlene Tempo liefen - und damit eine Übersäuerung der Muskeln verhinderten. Auch wenn sie zwar durchaus bereit sind, intensiv und auch mal über die Grenzen hinaus zu trainieren: Sie kommen erst richtig in Fahrt, je länger die Distanz ist.

"Wer zwei gesunde Kinder durch den Geburtskanal presst, ist auch zäh genug für lange Distanzen."

Im Vergleich Mann/Frau glänzen Letztere insbesondere auf den Langstrecken im Laufsport, im Triathlon und im Langstreckenschwimmen. Dort sorgen sie mit einer beachtlichen Leidens- und Leistungsfähigkeit in den letzten Jahren auch für deutlich mehr mediale Aufmerksamkeit und allgemeines Zuschauerinteresse.

Nun geht es doch eigentlich nur noch darum, sich dieser Fähigkeit bewusst zu werden. Es geht um die Lust daran, sie zu entdecken und mit ihr zu spielen.

Darum, die Natur und sich selbst auf eine andere Art zu erfahren, Grenzen zu verschieben und die eigenen Möglichkeiten auszuschöpfen.

Kurz gesagt: Wenn ich es als Frau schaffe, zwei gesunde Kinder durch den Geburtskanal zu pressen, dann bin ich auch zäh genug für lange Distanzen.

Aufbruch in Richtung Sand, Sonne und Sahara

Bis ich vor einigen Jahren in die Wüste ging, um dort am Ultralauf Marathon des Sables teilzunehmen, war ich mir meiner Ausdauerfähigkeit nicht wirklich bewusst. Ich hatte etwas Erfahrung im Laufsport. Doch in meinen kühnsten Träumen reichte die Vorstellungskraft nicht dafür aus, mir vorzustellen, über 42 Kilometer bei extremer Hitze zu laufen.

Der Reiz dieser anderen Dimension war größer, als die Angst zu versagen. So brach ich also auf in Richtung Sand, Sonne und Sahara. Bei Temperaturen um knapp 50 Grad ging es auf sechs Etappen über Dünen, ausgetrocknete Salzseen und felsige Berge.

Auf der Königsetappe mussten 75 Kilometer in maximal 34 Stunden bewältigt werden. Nach mehr als dreizehn Stunden wankte ich über die Ziellinie, unfähig, ein Wort zu sprechen. Erst am nächsten Tag wurde mir bewusst, was ich da erreicht hatte. Tränen von Glückseligkeit, innerem Frieden und Genugtuung liefen mir über die Wangen.

Es war eine Wende. DIE Wende in meinem Leben. Ein Vorher und ein Nachher. Im Kern meines Seins hatte sich etwas verändert. Vielleicht bin ich auch einfach nur mir selbst ein Stück nähergekommen zu dem, was bereits in mir schlummerte.

Wo sind die Grenzen der Leistungsfähigkeit? Was spielt sonst noch - neben der Physiologie - eine Rolle, um derartige Mammutrennen durchzustehen? Es ist der Kopf.

Ein Konglomerat an Gedanken. Ganze 60.000 davon schießen uns täglich durch den Kopf. Je länger eine Strecke wird, desto wichtiger wird der Fokus auf das Wesentliche, den Moment.

Lernen fürs Leben

Eines können wir für beide Geschlechter festhalten: Neben dem Messen und Austesten physischer und mentaler Grenzen bewirkt Ausdauersport einiges mehr. Die Disziplin und das Auseinandersetzen mit seinen Gedanken in vielen Trainingsstunden färbt auch auf andere Lebensbereiche ab. Etwa auf Job und Familie, wo ebenfalls Willensstärke, Beharrlichkeit, Geduld und Eigenmotivation gefragt sind.

Ausdauersport liefert die Zutaten und das Rezept für ein erfüllteres Leben

Nimm ihn also mit, den Zauber des Anfangs, von dem der deutsche Schriftsteller Hermann Hesse so schwärmt. Es steckt viel Wahres in seinem Zitat: Wer heute etwas weiter gehen und sich aus seiner Komfortzone bewegen kann, auf denen warten Welten neuer Möglichkeiten.

Es muss ja nicht gleich die Besteigung des Mount Everest sein oder ein 100-Meilen-Lauf. Jeder einzelne Schritt erweitert den Horizont.

Schuhe an und ab in die Natur.

Hineingerutscht in diese Welt seien sie, sagen viele Ausdauer-Athletinnen. Einfach so. Angefangen mit dem ersten Schritt vom Sofa auf die Straße oder in den Wald.

Auf die Frage, womit sie sich ihre Erfolge auf den extrem langen Distanzen erklärt, sagt Lizzy Hawker, die fünfmal den UTMB gewonnen hat, also die Umrundung des Mont Blanc auf über 167 Kilometern: "Ich bewege mich einfach gern und schnell in den Bergen. Bereits als Kind war ich immer unterwegs."

In den 80er- und 90er Jahren wurde die Amerikanerin Ann Trason bekannt durch unzählige Siege bei 100-Meilen-Läufen. Aus "Spaß an der Bewegung" und weil sie nichts beweisen müsse - sie wisse oft gar nicht mal mehr ihre Zielzeiten, betont sie in Interviews und Podcasts.

Hierzulande glänzte Astrid Benöhr lange Zeit durch die Bewältigung und Siege bei drei- und sogar zehnfachen Ironman-Distanzen. Ihr wurden bei Untersuchungen genetisch günstige Voraussetzungen attestiert, womit sich ihre Ausnahmeleistungen leichter erklären lassen.

Fakt ist allerdings, dass Frauen nie einen Marathon um die zwei Stunden laufen werden - geschweige denn auf diese Distanz überhaupt mit den besten Männern mithalten können.

Auf diese Distanz stellt sich am Ende die Frage nach den Kraftreserven - und da haben Männer klare Vorteile.

Deine Meinung ist gefragt: Wie erlebst du dich selbst als Frau auf längeren Strecken?Aus Männersicht gefragt, was hast du bisher bei Marathons oder sogar Ultras erlebt?

Teile deine Worte gern in den Kommentaren.