Mit sieben Männern in einem Zelt oder wann sich ein Abenteuer in der Wüste lohnen kann

Es sind noch etwa 223 Kilometer bis ins Ziel

Ich laufe seit über 30 Jahren. Im Alter von 14 Jahren schleppte mich meine Mutter mit in den Wald, forderte mich auf, sie auf ihrer Waldrunde - damals wohl schon als Trailrunning zu definieren - zu begleiten.

Mit 18 lief ich meinen ersten und letzten Strassenmarathon in Berlin. Ich lernte dort auch den Mann mit dem Hammer kennen. Er drosch bei Kilometer 35 am Checkpoint Charlie vergnügt auf mich ein. Nach 4 Stunden 35 Minuten schleppte ich mich ins Ziel. Hatte strikt nach einem Plan aus der Runner´s World trainiert. Dieser ging eindeutig nicht auf. Auch in Sachen Verpflegung machte ich so ziemlich alle Fehler, die man machen kann, wenn man den ersten Marathon in relativ gemütlichen vier Stunden schaffen will.

Vom Marathon trug ich die Erkenntnis davon: Es darf gern mehr sein.

Ein Jahr später lümmelte ich gerade auf dem Sessel vorm Fernseher herum, lenkte mich mit einer Reportage über den Marathon des Sables auf Eurosport perfekt vom Lernen fürs Abitur ab.

Was ich an diesem Nachmittag sah, zündete ein derartiges Feuer in mir an, dass ich wusste, eines Tages steh ich da auch und laufe durch einen Teil der marokkanischen Sahara.

Talk about eines Tages.

Der Tag kam. Doch erst geschlagene neun, ja neun, Jahre später. Ich reiste zu dem wohl härtesten “foot race on earth” nach Marokko, ließ meine kleinen Töchter und Mann zu Hause zurück.

Am vierten Tag, auf der 75 Kilometer langen Etappe hatte ich nicht nur einen Erwachungsmoment. Als ich im Licht meiner Stirnlampe abends nach über 13 Stunden ins Gemeinschaftszelt, das ich mit sieben Männern teilte, torkelte, mich in die Horizontale begab, weder essen, trinken noch reden konnte, fiel ich in einen komatösen Zustand.

Bilder der letzten Tagen schossen wie Sternschnuppen vom Himmel durch meinen Kopf. Am nächsten Tag stand ich auf, wankte benommen aus dem Zelt, löste ein Blättchen Trockenseife in einem halben Liter Wasser auf (Wasser war übrigens strikt rationiert und war spätestens am dritten Tag zum Luxusgut deklariert worden), entfernte mich ein paar Hundert Meter weg vom u-förmigen Camp und schüttete das wertvolle Nass über meinen Kopf.

Ich blickte gen Himmel und merkte, wie ich das Geschaffte langsam realisierte. Tränen flossen unaufhaltsam über mein Gesicht.

Wie oft hatte ich das ganze Unterfangen und damit auch mich selbst infrage gestellt.

  • Wozu tue ich mir diesen Wahnsinn an?

  • Warum mute ich meinem Körper solche Qualen zu?

Ich hatte die Antwort erhalten.

Jetzt stand nur noch ein Marathon und die letzte Etappe mit 17 Kilometern auf dem Programm. Ich würde es bis ins Ziel schaffen, notfalls auf allen Vieren.

2008 gab es weder Facebook noch WhatsApp, Instagram und Co. In der Weite der Wüste lenkte kein Gedanke an die nächste, reißerische Story ab. Alle und alles andere waren außer Reichweite.

Lediglich E-Mails von Freunden und Familie wurden abends gegen 18 Uhr, auf Papier ausgedruckt, an die Teilnehmer verteilt. Die Vorfreude auf die motivierenden Zeilen war jedes Mal groß. Noch heute krame ich diese Zeilen manchmal hervor und lese sie durch. Nichts erinnert dabei an eine Vergänglichkeit. Alles ist so nah, als wäre es gestern gewesen.

Nachdem ich mit der Finisher-Medaille um den Hals wieder ins wohlgeordnete Leben zurück kehrte, brauchte ich einige Wochen, um das Erlebte aufzuschreiben. Und es dauerte Monate, bis ich dieses Abenteuer wirklich sacken lassen konnte.

Kürzlich sah ich, dass der Marathon des Sables jetzt MdS Legendary heißt, sicher ein gefundenes Fressen für so einige Insta-fluencer, die die 250 Kilometer verteilt auf 6 Etappen jagen, um dabei gewesen zu sein.

Und ein oder zwei Wochen später schon beim nächsten Event stehen.

Ich betrauere diese good old times manchmal und bin dankbar, dass ich den für mich damals wahren Wüstenspirit mit allen Sinnen aufsaugen konnte.

Sechzehn Jahre später brennt die Flamme fürs Ultralaufen immer noch. Um künstliche Knie- und Hüftgelenke bin ich bisher auch herum gekommen.

Mit 60, also in sechzehn Jahren, will ich auch noch lange Distanzen laufen können und plane meine Laufabenteuer bis dahin weiterhin in wohldosierten Häppchen.

Run happy. Be happy.
Deine Anna

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