Bye bye Strava
Im Mai 2021 packte mich der Ehrgeiz.
Ich hatte eine klare Mission: Kronen sammeln und mein Revier hier in Garmisch verteidigen. Ich war zu dem Zeitpunkt fast drei Jahre raus aus jeglichem Wettkampfgeschehen und hatte den Eindruck, mal wieder etwas reißen zu müssen, eine gewisse Konkurrenz zu spüren und mich dadurch im Training mehr motiviert zu fühlen.
Strava ist Schwedisch und bedeutet „etwas anstreben".
Gesagt, getan.
Mein Ziel war klar: So viele Kronen wie möglich einsammeln, um mich dann vielleicht offiziell Queen of Garmisch zu schimpfen.
Erst im Nachhinein werden mir meine doch etwas niederen Beweggründe klarer. Jetzt, wo ich ernsthaft überlege, mein Konto zu löschen.
Mein Fazit nach über zehn Monaten Kronen- und Pokaljagd fällt unerwartet enttäuschend aus, aber zurück zu den Anfängen. Also den Anfängen, als Strava von einem gewissen Michael Horvath gegründet wurde. Das war im Jahr 2009.
Da ich mich in vielen Bereichen meines Lebens oft als Spätzünderin bezeichnen würde, überrascht es nicht, dass ich erst letztes Jahr zu dieser App fand.
Verlieren kann man ja bekanntlich nichts, im besten Fall nur an Erfahrung dazu gewinnen.
Vielleicht würde sich die App ja als das nonplusultra Tool für meine Zwecke, Ziele und Absichten, mit denen ich meinen Sport, Trailrunnung, betreibe, herausstellen.
Und schwupps, mit ein paar Klicks und dem für gewöhnlich lästigen Anmeldeprozedere war ich drin.
In einer weiß-schwarz-orangegfarbenen Welt aus Zahlen, Daten und Fakten. Natürlich kann man seine Trainings auch mit Fotos aufhübschen. Fehlt eigentlich nur noch die Video-Upload Funktion, aber vielleicht kommt die ja noch oder dies ist an mir vorbei gegangen in all der Schnelllebigkeit.
Zuerst war ich mir nicht sicher, ob die Basisversion ausreichen würde und clever, wie die Apps nun mal funktionieren, spürte ich schnell den Drang, auf Premium zu upgraden. Die paar Euros tun ja schließlich nicht weh.
Der Eintritt in die "Community" aus Gleichgesinnten, oder was sich so anfühlen sollte, war geebnet. Als würde mir hier zu Hause was fehlen und ich insgeheim hoffte, mich nun mit ganz vielen anderen verbinden und verbünden zu können.
Ich fühlte mich als wichtiger Teil von ihr, dieser Community aus vielen bekannten und mir unbekannten Läufern.
Ich verbrachte anfangs Stunden mit dem Scrollen durch die Feeds derer, von denen ich immer schon mal wissen wollte, was und wie sie so trainieren.
Wild und ein wenig besessen tippte ich einen Namen nach dem anderen in die Suchmaske und war erstaunt, wie wenig einige der Leute teilen und andere wiederum jeden popeligen Spaziergang um den Block hochladen.
Nach und nach wuchs die Anzahl derer, denen ich folgte, verteilte fleißig und meist kopflos und unüberlegt sogenannte kudos. Kudos, manchmal die Rettung an einem Tag und in einer Zeit, als Corona noch mehr wütete und Umarmungen nicht mehr selbstverständlich an der Tagesordnung waren.
Abstammend vom griechischen Wort “kydos” bedeutet dies einen Ausdruck für Ruhm und Ehre.
Was, es war also rühmlich und ehrenvoll, eine Gassirunde mit dem Hund gegangen zu sein oder ein elf minuten und siebzehn sekündiges Core-Workout gemacht zu haben?!
War ich an irgendeinem Punkt unbemerkt so weit abgerutscht, dass ich mich über solch virtuellen Verneigungen ehrlich freuen konnte und geradezu darauf wartete, auch welche, also kudos, einzuheimsen?
Puh!
Und hier ist eine der möglichen Gefahren von Strava: It can fuck with your mind!
So schnell wie einige Drogen bereits beim ersten Konsum abhängig machen, ist es mir mit Strava ergangen. Ok, vielleicht übertreibe ich doch ein wenig an dieser Stelle.
Aber diese virtuelle Läuferwelt begann zu einem Paralleluniversum zu werden, erst recht, als ich mich mit den Segmenten beschäftigte. Allein in einem Radius von ein bis zwei Kilometern von meiner Wohnung entfernt entdeckte ich unzählige solcher Abschnitte, zu denen es jeweils Bestenlisten sowie Männer und Frauenrankings gibt.
Manchmal tauchten darin in der Trailrunning Szene bekannte Namen auf und ich scharte schon mit den Hufen.
Am nächsten Tag pickte ich mir ein flaches, 1 km-Segment heraus und rannte beinah um mein Leben, trug die Krone auf dem Kopf und fühlte mich für einen Moment so, als hätte ich endlich mal wieder was gerissen. Und yes, alle konnten es sehen und mir bitte, bitte ihre Kudos geben.
Ach, tut das gut und streichelt die manchmal eben doch gepeinigte, nach Aufmerksamkeit und Bestätigung strebende Läuferseele!
Danke Strava.
Mission completed.
Zwei Tage später folgte der nächste Angriff auf ein uphill Segment eines recht anspruchsvollen Steigs. Man hätte meinen können, ich sei auf der Flucht, so angetrieben heizte ich da hoch, setzte das Krönchen auf und trabte zufrieden den Berg hinab nach Hause.
Hach Strava, you are serving me well!
Und weil ich nicht genug bekommen konnte und zwei Krönchen längst nicht genug waren, nahm ich mir einen weiteren uphill vor. Meine Sammlung wuchs, und meine Motivation erst recht.
Nur wenige Tage nach diesen Triumphen spürte ich ein schmerzhaftes Ziehen an einer Sehne unterm linken Fuß. Während ich mir eine Zwangspause verordnen musste, schielte ich neidisch auf die Mitglieder meiner virtuellen Läufer, die weiter fröhlich trainierten.
Als Mensch, der andere Menschen gern persönlich, im realen Leben, trifft und begegnet, wunderte ich mich selbst darüber, was ich da scheinbar aus meinen virtuellen Freunden herauszog.
Sie waren da, sie liefen nicht weg. Man war immer miteinander verbunden, lautlos und unaufdringlich, bekam keine unangenehmen Fragen gestellt.
Von den Leuten, denen ich folgte, kannte ich nur eine klitzekleine Handvoll persönlich. Die meisten fallen in die Kategorie: Flüchtige-Instagram-Bekanntschaft und man findet sich ganz nett und sympatisch.
Wie konnte es mir reichen, aus diesen mir doch Fremden so viel scheinbar Positives zu ziehen?
Oder war ich einfach nur mit dem Wenigsten zufrieden, so dass ein kudo eines mir eigentlich Unbekannten ausreichte, um mich auf ein besseres Level von Wohlgefühl zu heben?
Social media can fuck with your mind!
Als die Verletzung auskuriert war, lief ich erst mal mit angezogener Handbremse und teilte längst nicht jede Einheit im Bewusstsein darüber, dass ich mir sicher sein konnte, dass es wirklich keine Socke interessiert, dass ich, Anna Hughes, heute wieder mal meine lockere Runde mit 8,83 km absolviert habe.
Hier ist der Clue: Man beginnt, sich auf sich etwas einzubilden und dass man im Leben anderer die Position einer wichtigen Person einnimmt. Das ist jetzt vielleicht gesponnen und womöglich maßen meine Worte hier dem ein oder anderen eh viel zu übertrieben an.
Aber auch kann das Streben aka Strava begünstigen: Höher, schneller und weiter in die Riege zu gelangen, wo man um Krönchen und Pokale kämpft, an der virtuellen Front.
Es hat schon einen Grund, warum so viele Profis im Trailrunning eben nicht ihre Trainings hochladen, Jim Walmsley einmal ausgenommen.
Selbst da stellt sich die Frage: Was bringt es mir kleinem Läuferlein in der langen Kette der viel, viel Besseren, wenn Jim einen 70 km long run in einer bestialisch schnellen Pace abspult?
Was habe ich davon zu wissen, was er oder jemand anderes, trainiert?
Inspiration? Motivation? Dem Überprüfen des eigenen Status Quo?
Wo ich demnach im Verhältnis zu anderen stehe?
Warum das eine solche, vielleicht auch unbewusste Wichtigkeit hat, sei dahin gestellt.
Vielmehr ging ich mir selbst im Sommer auf den Grund. Ertappte mich bei meinen Reisen nach Tunesien dabei, wie ich gar etwas stolz war, eine Einheit aus einem etwas exotischeren Ort hochzuladen und fein zu bebildern.
Der Fakt ist: Es bringt niemandem einen Mehrwert zu sehen, in welchem Tempo ich wie viele Kilometer auf welcher Strecke gelaufen bin.
Vielleicht meinen wir, dass es andere interessiert und sind in Wirklichkeit auch mit der guten Absichten unterwegs, andere mit unseren tollen Routen zu inspirieren und vom Sofa zu holen.
Wir können es nicht wissen, nur annehmen. Aber ist nicht jeder genug beschäftigt mit dem eigenen Leben?
Warum also kreative Titel für Trainings überlegen - am besten schon während des Laufs - und sie dann voller Stolz zu teilen und zu hoffen, dass mehr Follower das wahrnehmen und den ersehnten kudo verteilen?
Ehre, wem Ehre gebührt, oder?
Ja oder ist es am Ende nur ein ordinäres Training, ein Lauf in irgendeiner Stadt oder in einem x-beliebigen Wald, dem wir mehr hinzufügen wollen, weil es sonst nicht genug wäre?
Je tiefer ich in die App eintauchte, je mehr Widerstand entwickelte ich.
Ich war in einem starren System, das simpel funktioniert. Von der oft so hoch gelobten Community habe ich in den vielen Monaten nichts mitbekommen.
Damit meine ich nicht die verteilten kudos, sondern echtes Interesse an anderen darüber, welche Ziele sie verfolgen, wie es ihnen geht und wie sie ihr Training gestalten.
Und hier wird es interessant: Man nimmt sich bedeutend weniger Zeit, Leuten im echten Leben echte Fragen zu stellen, Interesse zu bekunden anstatt es vorzuheucheln.
Wir sind mit dem Wenigsten zufrieden.
One more kudo, please!
Es könnte hier auch in eine tiefenpsychologische Richtung gehen, aber der Bogen wäre damit sicher überspannt.
Nicht zu vergessen sind die User, die die App für den reinen Spaß nutzen und ich glaube, dass es möglich ist, im Konsumieren der App und seiner Funktionen Spaß zu sehen. Doch der Anteil der Menschen, die diese Intention innehaben, dürfte verschwindend gering sein.
Ich kenne genau zwei, beide davon persönlich.
Nachdem dann die Kronensammlung immer weniger bedeutend für mein Läuferleben wurde, begann ich, stolz meine Gassirunden zu teilen. Anfang des Jahres bekamen wir Familienzuwachs und natürlich durften die Einheiten mit meinem Hund nicht fehlen.
Vielleicht würde das für einen zusätzlichen, inspirierenden Faktor sorgen.
Oder wenn ich besonders früh aufstand, gebürstet und gestriegelt bei Eiseskälte meine Runde drehte, würde das bestimmt für meine Disziplin sprechen, die - nebenbei erwähnt - nicht zu meinen Tugenden zählt.
Kudos, please!
Die oft gleichen Runden sahen auf Strava schnell langweilig aus, obwohl ich immer eine klare Intention beim Training verfolgte. Und kam mir oft viel zu langsam vor in Relation, im Vergleich zu meinen virtuellen Freunden, die ich von meiner Wohnzimmercouch aus heimsuchte.
Ich war plötzlich genervt von dem, was ich sah, und empfand meine Beiträge als keinen Deut spannender oder wirkungsvoller.
Was also brachte es mir zu sehen, dass X einen 1,21 km kurzen Spaziergang gemacht hatte oder Y wieder einmal die Kilometer voll gemacht hatte?
Sieht aufgeräumter in den Stats aus.
Mir fiel es wie Schuppen von den Augen und ich empfand das Streben nach etwas mittels einer App als großen Reinfall. Es läuft versteckt ab.
Man pickt sich ein Segment, läuft es ab. Ist die Zeit gut genug, wird es geteilt. Und wenn nicht, tja, dann behalte ich es eben für mich und warte bis zum nächsten Mal. Oder teile es doch und kümmere mich nicht um kudos.
Dabei rückten meine Trainingsintention immer mehr in den Hintergrund. Auch so ein schleichender Prozess wie überhaupt all das, was ich bisher auf Strava genutzt habe.
Es - die unzähligen Funktionen - pirschen sich aus dem Rückhalt heran. Man wird in einen Sog aus unzähligen Möglichkeiten gezogen, ganz egal, ob es Sinn macht oder nicht.
Routen lade ich mir von anderswo auf meine Uhr, dafür brauche ich Strava nicht. Was zählt ist, mich als Konsumentin zu halten, und da es einem bekanntlich ja schnell langweilig wird, sorgen diverse Herausforderungen dafür, dass ich schnell klicke und mich den nächsten Sog kaum entziehen kann.
Hey, remember, it can fuck with your mind!
Letzte Woche erst. Es war ein kalter, winterlicher Tag. Ich war zu einem weiteren Podcastgespräch verabredet. Mein Interviewpartner sprach am Ende über seine Erfahrungen auf Strava und was es mit ihm als Läufer gemacht hat. Mir blieb fast die Spucke weg, brachte er es in so vielen Aspekten auf den Punkt.
Wenn man nicht vom Ehrgeiz-Gen befallen ist, mag das definitiv eine feine Sache sein, zu streben.
Nach interessanten Statistiken zwischendurch, am Jahresende und über viele Jahre hinweg. Mehr als Zahlen, Daten und Fakten zu liefern kann sie nicht.
Und es sind stets sorgfältig ausgewählte Momentaufnahmen.
Hinzu kommt, dass betrügen einfach ist. Man nehme sich einen schnellen Läufer, schnalle ihm die Uhr ums Handgelenk und lasse ihn ein Segment seiner Wahl treffen, um sich in die Riege der Besten einzureihen. Dasselbe gilt für Radlfahrer.
Not könnte nun mal erfinderisch machen.
Nur im Wettkampf an einem bestimmten Tag, an dem sich Läuferscharen zu einer Mission treffen, ist ein direkter Vergleich möglich. Dann gelten für alle dieselben Bedingungen von der Startlinie weg.
Bei Strava ist dies nicht möglich.
Eine Zeit, die im Winter auf einem Segment gelaufen wird, ist nicht unbedingt weniger wert, auch wenn sie langsamer wäre, als eine, die im Sommer auf derselben Route gelaufen wird.
Der Community-Faktor hat bei mir nicht gegriffen. Mein Kreis an Leuten, die ich persönlich zum Laufen treffen, hat sich um keine einzige Person erweitert. Dazu braucht es aktives Handeln, mit Leuten ins Gespräch gehen und sich konkret verabreden.
Gestern meldete ich mich ab. Ich habe keine Lust mehr, nach etwas Virtuellem zu streben, mich Vergleichen auszusetzen, möchte an meine innere - oder fachmännisch ausgedrückt intrinsische Motivation - wieder mehr anknüpfen, meine Läufe nicht mit ein paar Followern teilen, für die mein Training sowieso keine Bedeutung hat.
Zwei Plattformen - die Coros App sowie Trainingpeaks -, auf denen ich mein Training nachvollziehe, reichen mir völlig aus, und wenn ich wissen will, wo ich stehe, stelle ich mich gefälligst an eine Startlinie und renne um mein Leben, ohne Fokus auf ein 2,56 km langes Segment, das irgendjemand irgendwann mal ins Leben gerufen hat.
Am Ende kocht jeder sein eigenes Süppchen und vielleicht dient Strava ja auch dazu, so manch dunkle Phasen, die in einem Läuferleben nun mal vorkommen, etwas zu erhellen.
Und wenn es nur für einen Moment ist.
Thanks for all the kudos!
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